Nachricht | Kurzbericht vom 04.12.2023

Kurzbericht zur Sitzung des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern vom 04. Dezember 2023

Am 04. Dezember 2023 waren im 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern zwei Zeugen geladen. Zunächst sagte Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof Jochen Weingarten aus. Die Bundesanwaltschaft hat am 11. November 2011 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Weingarten war an den Ermittlungen beteiligt, hat die Anklage im NSU-Prozess verfasst und dort auch die Bundesanwaltschaft (BAW) vertreten. Er machte im Ausschuss relativ allgemeine Ausführungen, da Mecklenburg-Vorpommern nicht zu den Schwerpunkten seiner Ermittlungen gehörte. Die Ausgangslage sei „von dem Blick in eine dunkle Schlucht, deren Ende nebelverhangen war“, geprägt gewesen. Sie hätten überhaupt keine Idee gehabt, was die Hintergründe der Morde und der Überfälle gewesen sei. Es sei unklar gewesen, wie der NSU zusammengesetzt gewesen sei, inwiefern Neonazis und Behörden von den Taten gewusst hätten. Die Ermittlungen seien immer ergebnisoffen und mit der gebotenen Tiefe geführt worden. Am Anfang sei niemand, auch er nicht, von einer isolierten Gruppe ausgegangen, weil auch das Video von einem Netzwerk spricht. „Man wollte also alle beteiligten Helfer und Helfershelfer finden, das hätten auch Beamte wegen Unterlassung sein können“.

„Es hat nie eine Engführung gegeben und es gab nie eine Festlegung auf ein Trio.“ Es habe sicher keine manipulierte Beweislage im Wohnmobil und der Frühlingsstraße gegeben. Sie hätten Asservate gefunden, mit denen man das Leben des NSU habe rekonstruieren können. Sie hätten in der Folge von innen nach außen, also ausgehend von der Tat, gearbeitet. Sie hätten über 7000 Asservate, über 3000 elektronische Asservate gehabt. Die breiten Ermittlungshandlungen hätten die gesamten Instrumentarien umfasst. Alles was sinnvoll und richtig gewesen sei, hätten sei gemacht. Das Hauptaugenmerk hätte auf der Feststellung relevanter Personenkontakte gelegen. Ziel sei ein vollständiges Verdachtsbild gewesen. Sie hätten die Fahndungsakten aus den 1990ern ausgewertet und intensive Vernehmungen durchgeführt. „Es hat niemanden gegeben, der mehr als einmal guten Tag gesagt hat, den wir nicht befragt haben.“ Tino Brandt sei 2001 als V-Mann enttarnt worden und damit hätten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe das Risiko realisiert, dass die rechte Szene von Quellen durchsetzt sei. Es sei plausibel, dass keine Szenekontakte mehr gepflegt wurden, sondern man sich extrem abgeschottet habe.

Weingarten sagte, sie hätten während der Ermittlungen Auskünfte von allen Geheimdiensten  eingeholt, auch vom MAD. Immer wenn sie den Eindruck gehabt hätten, dass jemand mehr weiß, als in den Akten steht, dann hätten sie auch Vernehmungen durchgeführt. Sie hätten zu Unterkünften ermittelt und die Fahrzeuganmietungen rekonstruiert, es habe die Zusammenführung aller Massendaten gegeben. Die Schriftproben zu handschriftlichen Anmerkungen belegen, dass Böhnhardt und Mundlos gleichsam hauptberuflich mit Ausspähen möglicher Ziele befasst gewesen seien. Die Ermittlungen hätten den Schluss zugelassen, dass die Opferauswahl nach völkisch-rassistischen Gesichtspunkten erfolgt sei. Es habe keine persönlichen Beziehungen zu den Ermordeten gegeben, auch nicht mittelbar. Man habe keine Hinweise, dass der NSU Hinweise von Dritten, von anderen Neonazis bekommen habe. Man habe Finanzermittlungen gemacht, das Videomaterial geprüft und sei Hinweisen nachgegangen. Es habe eine ständige Asservaten-Revision gegeben, es sei also darauf geachtet worden, dass nicht etwa ein Kassenbon im Dezember 2011 einfach weggelegt werde und der später wichtig geworden wären. „Allen war klar: Es dürfen keine Fehler  mehr passieren.“ Das sei die Maßgabe allen Handelns gewesen.

Sie hätten sich bei der Beweislage von innen nach außen orientiert. Es sei nicht geboten gewesen, den Sachverhalt von außen über lokale rechten Szenen zu ermitteln. Jede Zeugenvernehmung brauche eine strafrechtliche Begründung. Dieser Eingriff in die Grundrechte sei nur zu rechtfertigen, wenn der Zeuge zum Tatvorwurf was sagen könnte. Sie hätten das also nicht gemacht, wenn sie keine Kontakt zwischen Täter und Zeuge hätten nachweisen können. Sie seien also grundlegend erst einmal nicht von Kontakten ausgegangen, wenn sich dies nicht durch vorliegende Unterlagen ergeben habe. Unterstützung sei strafrechtlich nur relevant, wenn sie vorsätzlich erfolgte. Es gebe einen Unterschied zwischen einem Gesinnungsgenossen oder ob man wisse, es komme Mord. Es habe kleine Unterstützungsleister gegeben aber keinen Wissenstransfer: ‚wir begehen Morde‘. „Die wenigsten von uns, die was böses vorhaben, kommunizieren das in ihrem Freundeskreis.“ Wenn Nebenklagevertreter von hunderten Unterstützern sprächen, dann sei das die „Ursuppe der Unterstützer-Diskussion“, da gehe es um den Nährboden und politische Unterstützung, sie hätten nur den strafrechtlichen Mittäter- und Unterstützerbegriff zugrunde gelegt. Das zeige die Beschränkung des Rechtsstaats, dem sie unterworfen seien, es brauche individuelle Schuld.

Auf Nachfrage sagte Weingarten, eigene Ermittlungen eines LKAs habe es gar nicht geben können, da sie die Ermittlungen durchgeführt hätten. Alles, was ermittelt worden sei, sei im Auftrag der BAW ermittelt worden. Das schließe natürlich nicht aus, das vor Ort engagiert oder kreativ gearbeitet werden konnte. Sie hätten aber großen Wert auf zentrale Steuerung gelegt. Es habe keinen Spielraum für lokale Ermittlungen gegeben. Sie hätten nicht hingenommen, wenn Landesbehörden selbstständig ermittelt hätten. Weingarten sagte, es sei vorgekommen, dass es Ermittlungsanregungen in unterschiedlichen Bereichen gegeben habe, denen sie im Einzelfall nicht nachgekommen seien, da sie ein eigenes Ermittlungskonzept gehabt hätten. Das sei dynamisch gewesen, müsse aber auch stringent diskutiert werden. „Wir haben dann widersprochen, wenn Landesbehörden zur eigenen Szene arbeiten wollten.“

Als zweiter Zeuge sagte „VS 7“ aus, der 1999 die Observation des Grundstücks des NPD-Anwalts Hans Günter Eisenecker leitete, bei der die NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Carsten Schultze festgestellt wurden. Auch „VS 7“ machte im öffentlichen Teil der Sitzung eher allgemeinere Ausführungen. Er sei damals im LfV Truppführer gewesen und sei ab 2002 in ein anderes Bundesland gegangen. Er habe bis zum Beweisbeschluss keine Erinnerung mehr daran gehabt. Die Aktenlage habe bei der Vorbereitung ergeben, dass er der Einsatzleiter gewesen sei. Sie seien einen Tag vor der Observation von einem Kollegen vom LfV Thüringen eingewiesen worden. Wie und wo das passiert sei, wisse er heute nicht mehr. Er entnehme den Akten, dass zwei bekannte Personen aus Thüringen einreisen wollten. Sie hätten am 5. Februar 1999 um 13 Uhr die Observation in Goldenbow begonnen, um 18 Uhr beendet. Er habe drei Anmerkungen. Von einem NSU-Kerntrio sei bei der Observation keine Rede gewesen. Das sei kein besonderer Einsatz gewesen, sondern einer, wie er ihn jedes Jahr dutzendfach erlebt habe. Er habe nach seinem Observationsbericht nicht erfahren, wer die Männer gewesen seien. Der Thüringer Kollege habe gesagt, er kenne sie. Dass es das Grundstück von Eisenecker gewesen sei, sei ihm nicht bekannt gewesen, auch wenn ihm der Name etwas sagte.

Ein ausführlicher Bericht zur Sitzung findet sich bei NSU-Watch: