Das Mädchen für alles – Angela Merkel, ein Annäherungsversuch

Sprache lebt auch mit der Politik und ihren Veränderungen. Wird es bald ein „merkeln“ geben, so wie es einst ein „genschern“ gab? Wird man demnächst Bescheid wissen, wenn es heißt, die und der sei „abgemerkelt“ worden?“ Unbemerkt und zugleich vor aller Augen gelang einer Frau aus dem Osten die steilste politische Karriere der vergangen 50 Jahre. Angela Merkel, dieses offene Geheimnis, ist Kanzlerin aller Deutschen geworden. Dass sie zuvor den ersten „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl, eigenhändig zu Fall brachte, ist dabei nur eine der Sensationen. Denn als „Kohls Mädchen“ begann sie ihre Laufbahn.

Mit seinem Angela-Merkel-Buch „Ein Mädchen für alles“ über die heutige CDU-Bundesvorsitzende hat der Potsdamer Journalist Matthias Krauß kein Porträt im engeren Sinne vorgelegt. Er nennt sein Werk einen Annäherungsversuch. In 27 Kapiteln beleuchtet er die wesentlichen Aspekte eines Weges, auf dem eine unscheinbares, schüchternes Mädchen aus Ostberlin in die Zentrale der CDU-Macht geriet und dort in seinem Sinne aufräumte. Betrachtet wird Verhältnis Angela Merkels zur den Ostdeutschen wie zu Westdeutschen. Zu den Russen wie zu der Regierung in Washington. Matthias Krauß sucht eine Antwort darauf, warum die offensichtlichen Grenzen dieser Frau in ihrem Falle keine Begrenzung darstellten. Er verhehlt nicht, dass er ein „Ostbuch“ zum Thema geschrieben hat, seine Sicht auf diese Frau ist eine dezidiert ostdeutsche. Auch er kennt die Welt, in der Angela Merkel  ihre prägenden Lebensjahre verbracht hat.

Es geht in seinem Buch um eine Frau, die auf den ersten Blick eher einlädt, übersehen zu werden. Sie offenbart weder Brillanz, noch versprüht sie Charme. Die vorläufige Siegerin im CDU-Machtspiel verfolgte trocken und beharrlich ihr Ziel. Krauß sucht die Antwort darauf, wie eine Frau, der scheinbar alle Voraussetzungen dafür fehlen, überhaupt in die Position gelangen konnte, am Zaun des Berliner Kanzleramtes zu rütteln. Dass diese Person weiblich, jung und ostdeutsch ist, kann für sich genommen schon als Bruch mit der konservativen Tradition in Deutschland gedeutet werden. Doch liegt ein weiterer bemerkenswerter Umstand vor: Die Pfarrerstochter Angela Merkel war eine loyale Bürgerin des DDR-Staates. Sie kann mit ihrer damaligen Laufbahn sogar als Förderkind bezeichnet werden, dem seine schulischen Bestnoten angemessen honoriert wurden. Sie lebte ein ruhiges DDR-Leben und ist seinerzeit nicht durch übermäßigen Ehrgeiz aufgefallen. Eine solche Frau, genau sie, streckte die Hand nach der Macht in Deutschland aus. Und eben niemand aus der DDR-Opposition, keiner der damaligen Widerständlerinnen und Widerständler.

Damit ist Angela Merkel eine Art politisches Wunder. Genau so klar ist aber auch, dass beim besten Willen nicht wunderbar sein kann, was sie als Kanzlerin praktizieren wird. Die Kandidatur einer Angela Merkel bringt Deutschland in eine Situation, von der die meisten überrascht sind, obwohl wiederum niemand überrascht sein dürfte. Denn seit 15 Jahren operiert und taktiert die Politikerin so öffentlich, wie man es nur sein kann. Krauß beschränkt sich daher nicht  auf die Erklärung, sie sei eben permanent „unterschätzt“ worden. Für ihn ist der Aufstieg Angela Merkels auch Ausdruck einer Krise der CDU und des politischen Systems, dem diese Partei die Prägung gab. Er ist mit seinem Buch auf der Spur nach jenem geheimen Punkt, an dem sich ein persönliches Machtstreben mit dem unsicheren Schicksal eines ganzen Landes verbindet. Der Autor (Jg. 1960)
war nach dem Studium der Journalistik 1982-1986 an der Leipziger Karl-Marx-Universität 1986-1998 Redakteur der Märkischen Volksstimme und lebt heute als freier Journalist in Potsdam.