Die Privatisierung der Deutschen Bahn
Über die Implementierung marktorientierter Verkehrspolitik
Rezension aus Neues Deutschland, 24. Juni 2008 von Karl-Dieter Bodack
Das Buch zur Bahnprivatisierung
Tim Engartner liefert Fakten und Argumente gegen den DB-Teilverkauf
Die Bundesregierung hat den Teilverkauf der Deutschen Bahn (DB) AG durchsetzt. Ob diese »materielle Privatisierung« den Bedürfnissen der Bürger und den Zielen der Verkehrspolitik nützt oder schadet – eine solche Diskussion wurde erst gar nicht geführt.
Tim Engartner stellt in seinem gerade veröffentlichen Buch daher zu Recht dar, dass die ideologische Überzeugung über allem steht, Privatwirtschaft müsse expandieren und der Staat sei zu minimieren. Rationale Argumente und Erfahrungen aus anderen Ländern werden, wie stets bei doktrinärem Handeln, ignoriert. Der Verfasser erhielt die Idee für diese Publikation bei einem längeren Aufenthalt in England. Dort erlebte er den beispiellosen Niedergang des Bahnsystems nach dessen Privatisierung. Darstellung und Analyse dieser Entwicklung nehmen mit vielen Daten und Fakten breiten Raum ein und lesen sich wie eine komplexe Kriminalrealsatire. Bei der Darstellung der bahnpolitischen Entwicklung in Deutschland baut der Autor auf die Verkehrspolitik bis 1993, in der die Bahn die Rolle des bedauernswerten Empfängers von Almosen spielte, diese zuletzt vor allem durch die Deutsche Reichbahn gigantische Summen erreichten. Daher fand das Ziel »Mehr Verkehr auf die Schiene mit weniger Subventionen« ein breites Echo.
Umso mehr muss erstaunen, dass die DB AG mit Billigung der Bundesregierung offensichtlich ganz andere Ziele verfolgt: Abbau des konventionellen Netzes und Durchführung gigantischer Neubauvorhaben, deren Aufwand in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag steht. Symptome sind die Streckenstilllegungen, der Abbau von Gleisanlagen, die Beseitigung von Gleisanschlüssen und der Verkauf der Bahnhofsgebäude. Signifikantes Beispiel ist die Abschaffung des InterRegio, der die höchsten Fahrgastzahlen und die besten Kundenurteile aller Fernverkehrsprodukte der DB hatte.
Mit der Ausrichtung auf den kleinen Markt der zeitsensiblen Geschäftsreisen werden nach gigantischen Investitionen derzeit weniger Fernverkehrskunden registriert als 1994. Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt der DB-Strategie ist die umfängliche Akquisition weltweit operierender Speditionen und Logistikunternehmen – während die Infrastruktur in Deutschland vernachlässigt und abgebaut wird. Auch dies widerspricht den immer wieder beschworenen Zielen der Verkehrspolitik und den Erwartungen der Bundesbürger.
Engartner stellt demgegenüber die durch Volksentscheide ausgerichtete Strategie der Schweizer Bundesregierung und der dortigen Bahnen dar: Hier werden mit nur 40 Prozent der in Deutschland notwendigen Subventionen pro Tonnen- und Personenkilometer doppelt so hohe Marktanteile des Bahnverkehrs erreicht – mit staatlichen und kantonalen Bahnunternehmen!
Mit 300 Seiten Daten und Fakten und 821 Quellenangaben bietet dieses Buch, das der Autor als Promotion an der Universität Köln eingereicht hat, ein Kompendium deutscher Verkehrspolitik und Bahnstrategien. Und es stellt Vergleiche mit den Entwicklungen in England und der Schweiz an. Dies leistet der Autor in einer Fülle und Dichte, die konträr zu den simplen Argumenten der Bahnverkäufer stehen. Die Darstellung der Bilanztricks, mit denen die DB AG bereits am ersten Tag ihrer Existenz Gewinne ausweisen konnte, sowie die seit der Bahnreform wesentlich gestiegenen staatlichen Aufwendungen fanden da leider keinen Platz. Die Machthaber, die zurzeit den Börsengang gegen den Willen der Mehrheit der Bürger durchsetzen, könnten aber auch mit diesen Fakten gebremst werden. Tim Engartner: Die Privatisierung der Deutschen Bahn. Über die Implementierung marktorientierter Verkehrspolitik, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 24,0 €
Das Buch zur Bahnprivatisierung
Tim Engartner liefert Fakten und Argumente gegen den DB-Teilverkauf
Die Bundesregierung hat den Teilverkauf der Deutschen Bahn (DB) AG durchsetzt. Ob diese »materielle Privatisierung« den Bedürfnissen der Bürger und den Zielen der Verkehrspolitik nützt oder schadet – eine solche Diskussion wurde erst gar nicht geführt.
Tim Engartner stellt in seinem gerade veröffentlichen Buch daher zu Recht dar, dass die ideologische Überzeugung über allem steht, Privatwirtschaft müsse expandieren und der Staat sei zu minimieren. Rationale Argumente und Erfahrungen aus anderen Ländern werden, wie stets bei doktrinärem Handeln, ignoriert. Der Verfasser erhielt die Idee für diese Publikation bei einem längeren Aufenthalt in England. Dort erlebte er den beispiellosen Niedergang des Bahnsystems nach dessen Privatisierung. Darstellung und Analyse dieser Entwicklung nehmen mit vielen Daten und Fakten breiten Raum ein und lesen sich wie eine komplexe Kriminalrealsatire. Bei der Darstellung der bahnpolitischen Entwicklung in Deutschland baut der Autor auf die Verkehrspolitik bis 1993, in der die Bahn die Rolle des bedauernswerten Empfängers von Almosen spielte, diese zuletzt vor allem durch die Deutsche Reichbahn gigantische Summen erreichten. Daher fand das Ziel »Mehr Verkehr auf die Schiene mit weniger Subventionen« ein breites Echo.
Umso mehr muss erstaunen, dass die DB AG mit Billigung der Bundesregierung offensichtlich ganz andere Ziele verfolgt: Abbau des konventionellen Netzes und Durchführung gigantischer Neubauvorhaben, deren Aufwand in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag steht. Symptome sind die Streckenstilllegungen, der Abbau von Gleisanlagen, die Beseitigung von Gleisanschlüssen und der Verkauf der Bahnhofsgebäude. Signifikantes Beispiel ist die Abschaffung des InterRegio, der die höchsten Fahrgastzahlen und die besten Kundenurteile aller Fernverkehrsprodukte der DB hatte.
Mit der Ausrichtung auf den kleinen Markt der zeitsensiblen Geschäftsreisen werden nach gigantischen Investitionen derzeit weniger Fernverkehrskunden registriert als 1994. Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt der DB-Strategie ist die umfängliche Akquisition weltweit operierender Speditionen und Logistikunternehmen – während die Infrastruktur in Deutschland vernachlässigt und abgebaut wird. Auch dies widerspricht den immer wieder beschworenen Zielen der Verkehrspolitik und den Erwartungen der Bundesbürger.
Engartner stellt demgegenüber die durch Volksentscheide ausgerichtete Strategie der Schweizer Bundesregierung und der dortigen Bahnen dar: Hier werden mit nur 40 Prozent der in Deutschland notwendigen Subventionen pro Tonnen- und Personenkilometer doppelt so hohe Marktanteile des Bahnverkehrs erreicht – mit staatlichen und kantonalen Bahnunternehmen!
Mit 300 Seiten Daten und Fakten und 821 Quellenangaben bietet dieses Buch, das der Autor als Promotion an der Universität Köln eingereicht hat, ein Kompendium deutscher Verkehrspolitik und Bahnstrategien. Und es stellt Vergleiche mit den Entwicklungen in England und der Schweiz an. Dies leistet der Autor in einer Fülle und Dichte, die konträr zu den simplen Argumenten der Bahnverkäufer stehen. Die Darstellung der Bilanztricks, mit denen die DB AG bereits am ersten Tag ihrer Existenz Gewinne ausweisen konnte, sowie die seit der Bahnreform wesentlich gestiegenen staatlichen Aufwendungen fanden da leider keinen Platz. Die Machthaber, die zurzeit den Börsengang gegen den Willen der Mehrheit der Bürger durchsetzen, könnten aber auch mit diesen Fakten gebremst werden. Tim Engartner: Die Privatisierung der Deutschen Bahn. Über die Implementierung marktorientierter Verkehrspolitik, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 24,0 €