Die Mauer fiel und ich bin schuld

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„Die Mauer fiel, und ich bin schuld“
Ist es nun Schalk oder Ernst? Jedenfalls widerspricht Günter Brock nicht, wenn man behauptet, er wäre Schuld am Mauerfall. Hatte er doch mit seinen stechenden Fragen auf der legendären Pressekonferenz am 9. November 1989 Günter Schabowski so in Bedrängnis gebracht, dass der sich nicht mehr richtig konzentrieren konnte und den Fehler mit dem Gültigkeitsdatum machte. Einen gewissen Charme hat diese Variante jedenfalls.
Bei seiner Lesung am 24. Januar im Kreisvorstand Rostock zeigte Günter Brock auch den Fernsehmitschnitt der Pressekonferenz. Er kann heute noch stolz darauf sein, dass er damals eines der Beispiele war, wie DDR-Journalisten in der Wendezeit endlich ihren Beruf richtig ausführen konnten.
Das Video zeigte: Um 18:53 Uhr stellte der Korrespondent der italienischen Agentur Ansa, Riccardo Ehrman, eine Frage zum Reisegesetz. Die Frage lautete laut Protokoll der Pressekonferenz: „Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass es war ein großer Fehler, diesen Reisegesetzentwurf, das Sie haben jetzt vorgestellt vor wenigen Tagen?“. Auf diese Frage antwortete Schabowski sehr umständlich und ausschweifend. Schließlich sagte er: „Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Auf die Zwischenfrage eines Journalisten: „Ab wann tritt das in Kraft? Ab Sofort?“ antwortete Schabowski dann um 18.57 Uhr mit dem Verlesen des ihm von Krenz zuvor übergebenen Papiers (Schabowski hatte selbst an der Beratung nicht teilgenommen.): „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen – Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse – beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VPKÄ – der Volkspolizeikreisämter – in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dabei noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen …“ (Schabowski liest sehr schnell von dem ihm übergebenen Beschlussentwurf für den Ministerrat ab)
Auf die erneute Zwischenfrage: „Wann tritt das in Kraft?“ antwortete Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Nach zweimaliger Zwischenfrage eines Journalisten: „Gilt das auch für Berlin-West?“ findet Schabowski schließlich den entsprechenden Passus der Vorlage: „Die ständige Ausreise kann über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu Berlin-West erfolgen.“
Aufgrund der von westdeutschen und West-Berliner Rundfunk- und Fernsehsendern sogleich verbreiteten Version, die Mauer sei „offen“, zogen mehrere Tausend Ostberliner zu den Grenzübergängen und verlangten die sofortige Öffnung. Zu diesem Zeitpunkt waren weder die Grenztruppen noch die für die eigentliche Abfertigung zuständigen Passkontrolleinheiten (PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit darüber informiert.
Ohne konkrete Anweisungen und unter dem Druck der Massen wurde um 23:30 Uhr der Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin für DDR-Bürger geöffnet; den Befehl dazu gab der vor Ort Dienst habende Offizier der Passkontrolleinheit des MfS, Oberstleutnant Harald Jäger. Weitere Grenzöffnungen im Berliner Stadtgebiet sowie an der innerdeutschen Grenze folgten in den nächsten Stunden. Bereits am späten Abend verfolgten viele die Öffnung der Grenzübergänge im Fernsehen und machten sich teilweise dann noch auf den Weg. Der große Ansturm setzte am Vormittag des 10. November 1989 ein, da die Grenzöffnung um Mitternacht vielfach „verschlafen“ wurde.
Quelle: Klartext. Sozialistische Monatszeitung für die Kreise Bad Doberan und Rostock, März 2008.

Günter Brock, geb. 1934 in Guben. Von 1974 bis 1982 Korrespondent des „Neuen Deutschland“ in Moskau, danach – wegen Differenzen mit Günter Schabowski – „zur Bewährung“ im Fernsehstudio Rostock. Am Abend des 9. November 1989 ist Günter Brock  - ohne Akkreditierung – Teilnehmer der später so berühmt gewordenen Pressekonferenz mit Günter Schabowski. Seine nicht ganz ernst zu nehmende Behauptung: seine bohrenden Fragen seien es gewesen, durch die Schabowski aus dem Konzept geriet und eine Nachricht vom Zettel verfälscht ablas, was noch in der selben Nacht zum Mauerfall führte.