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Der 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern

Seit dem Sommer 2022 tagt der 2. NSU / Rechter Terror-Untersuchungsausschuss im Landtag in Schwerin öffentlich. Unkompliziert wurde er unter rot-roter Regierung gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen 2021 eingesetzt. Der Plan des Gremiums ist ambitioniert und verlangt nach Tempo, auch wenn formal bis 2026 Zeit ist – dann endet die aktuelle Legislaturperiode. Zunächst geht es natürlich weiterhin um den NSU-Komplex und hier um die Taten in Mecklenburg-Vorpommern, also den Mord an Mehmet Turgut in Rostock am 25. Februar 2004, die beiden Banküberfälle des NSU in Stralsund am 7. November 2006 und 18. Januar 2007 und das unterstützende Neonazi-Netzwerk. Danach soll das immer noch aktive Nordkreuz-Netzwerk in den Blick genommen werden. Auch weitere rechte Netzwerke stehen auf der To-Do-Liste im Nordosten.

In den ersten Sitzungen im Schweriner Schloss lag der Schwerpunkt auf den Ermittlungen zum NSU-Komplex in den Monaten nach der Selbstenttarnung. Da die meisten geladenen Zeug*innen zum ersten Mal vor einem Aufklärungsgremium aussagten, gab es hier einige neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese werfen auch ein Licht darauf, warum die Aufklärung des NSU-Komplexes insgesamt auf dem bekannten prekären Stand ist. So waren eine tiefergehende Kenntnis über die extreme Rechte in Mecklenburg-Vorpommern oder über rechten Terror keine Voraussetzungen für die Ermittler*innen, die in der nach der Selbstenttarnung extra eingesetzte Besondere Aufbau-Organisation (BAO) Trio M-V des LKA Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt wurden.

Der Leiter des „Ermittlungsabschnitts Folgemaßnahmen“, der Ermittlungsaufträge, die sich aus ursprünglichen Aufträgen ergaben, weiter bearbeiten sollte, gab am 21. November 2022 vor dem Untersuchungsausschuss an, er kenne „Blood & Honour“ zwar, diese Organisation sei aber seit dem Jahr 2000 verboten. Auch die Auswertung der Ausgabe 18 des Neonazi-Fanzines „Der Weisse Wolf“, in dessen Editorial durch das antifaschistische Pressearchiv apabiz ein „Gruß an den NSU“ gefunden wurde, war mehr als dürftig. Ein Ermittler des „Ermittungsabschnitts Auswertung“ sollte diese Ausgabe nach Bezügen zum NSU und nach Mecklenburg-Vorpommern untersuchen. Was er fand, waren folgende dürre Informationen: Das Kürzel NSU fand er einmal im Editorial. Außerdem: „Bezüge zu Mecklenburg-Vorpommern gab es nur an sehr wenigen Stellen.“ Dies seien Adressen von anderen Fanzines in Mecklenburg-Vorpommern und die postalische Anschrift des „Der Weisse Wolf“. Es sei anzunehmen, so der Ermittler, dass „Der Weisse Wolf“ und das Fanzine „Freya“ verbunden seien, weil es so im Heft stehe. David Petereit aus Mecklenburg-Vorpommern sei der Herausgeber gewesen. Mehr als diese Nichtigkeiten konnte der Ermittler dem Ausschuss am 29. August 2022 nicht mitteilen. Die Inhalte der Artikel im Fanzine schienen für ihn keinerlei Rolle gespielt zu haben. Symptomatisch für die Ermittlungen in Mecklenburg-Vorpommern.

Den größten Raum nahm in Mecklenburg-Vorpommern offenbar eine größere Datenbank-Abfrage unter anderem mit den vom GBA gelieferten Namenslisten ein. Häufig beschränkte sich die Arbeit auch auf diese Abfrage in polizeilichen Informationssystemen. Stellte man beispielsweise einen Treffer im System fest, war die Person aber inzwischen in ein anderes Bundesland verzogen, fühlte man sich in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr zuständig. In der landeseigenen Neonazi-Szene ermitteln? Vielleicht gar rechte Netzwerke aufdecken? Fehlanzeige. Kritik wurde auch immer wieder an der Rolle des Landesverfassungsschutzes deutlich, der teilweise gar nicht oder erst nach Wochen und mehrmaligen Aufforderungen auf Anfragen der BAO M-V reagierte.

Wichtig war der Blick hinter die Kulissen der ersten Ermittlungen nach dem November 2011 alle mal. So machte die Sitzung am 13. März 2023 klar, was mit der im Ausschuss oft gehörten Floskeln „Kein Bezug zum NSU“ und "Keine Hinweise auf NSU-Unterstützer"  gemeint ist: Bezug zum NSU hätten laut Ermittlern nur Erkenntnisse, die unmittelbar in das Strafverfahren vor dem OLG München einfließen könnten. Zudem wurden Hinweise zu potenziellen Unterstützungsstrukturen  nicht tiefergehend ausrecherchiert, auch, weil die Ermittlungen von BKA und GBA ausgebremst wurden. Damit stehen in Mecklenburg-Vorpommern plötzlich bisher kaum ausgeleuchtete Kontakte in die Naziszene sowie Aktivitäten dieser Szene im Fokus.

Dazu zählt auch die Verbindung des NSU-Netzwerks nach Salchow und in die Anklamer Neonazi-Szene. Diese rückten in den Mittelpunkt der Arbeit des Untersuchungsausschusses, als das Antifaschistische Infoblatt Ende 2022 auf eine Ermittlungsakte aufmerksam machte, laut derer bei einer Durchsuchung der rechten Salchower Konzertscheune im Jahr 2004 ein Schild mit der Aufschrift „NSU-Kindergarten“ und ein Plakat mit der Aufschrift „NSU“ gefunden wurde. Auf der zur Durchsuchung gehörigen Fotodokumentation sind diese Fundstücke nicht zu sehen. [https://www.antifainfoblatt.de/artikel/wie-unbekannt-war-der-nsu]. Die Akte wurde dem Untersuchungsausschuss von den Behörden vorenthalten, obwohl sie schon mit der oberflächlichsten Suche zum Thema NSU hätte auffallen müssen. Im Ausschuss wurden Polizeibeamte gehört, die bei der Durchsuchung dabei waren, sich jedoch an die speziellen Plakate nicht erinnern konnten. Mindestens einer von ihnen wurde jedoch aktuell auch von der Bundesanwaltschaft verhört, die auch in Salchow noch einmal durchsuchen ließ, wie aus Sitzungen des Untersuchungsausschuss hervorging. Die Neonazi-Szene in Anklam spielt eine noch zu klärende Rolle im NSU-Komplex. Im Sommer 2011 wurde der inzwischen verurteilte NSU-Unterstützer André Eminger auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier des Kameradschaftsbund Anklam (KBA) in einer Verkehrskontrolle festgestellt.

Diesen Verbindungen muss der 2. NSU/Rechter Terror Untersuchungsausschuss nun nachgehen.